XX

[299] Das lang entbehrte Glück ihrer Nähe, ach, wie hob es seine Brust in schmerzlichen Athemzügen – wie drängte seine ganze Sehnsucht sich ihr entgegen, die in unbewußter Ruhe sein gedachte, ohne zu ahnen, wie dicht sein Herz neben dem ihrigen schlug.

Still in ihren Leiden, in mondheller Blässe lag sie da, in den gefalteten Lilienhänden die Blumen haltend, die er ihr gesendet hatte. Sie war abgezehrt, aber nicht entstellt. Denn ihr Wesen schien frei von der Angst, der sonst sterbliche Naturen am Rande ihres Daseyns unterliegen, und tiefer Friede drückte sich in dem Scheideblick[299] aus, mit dem sie noch auf dem dahin schwindenden Leben verweilte. Träumen süßer Erinnerung hingegeben, erhob sie oft ihr sanftes Auge, und es war, als ob das Anschauen der Welt, die sich in ihrem Innern bewegte, ihren Blicken höheren Glanz, ihrem Lächeln innigere Freudigkeit verliehe. Völlig angekleidet, schien es, als habe nur eine tiefe Ermattung sie zum Ausruhen vermocht, nicht der Kampf mit dem nahenden Tode sie auf das Sterbebette hingestreckt.

Da trat Auguste zu ihr hinein. Zärtlich forschte sie mit einer fast mütterlichen Sorgsamkeit nach Erna's momentanem Zustand, leitete dann von den Blumen, die Alexander's Gabe waren, die Rede auf ihn selbst, und fragte sanft, ob sie, wenn er wünsche, sie zu sehen, ihm wohl einen kurzen Besuch gestatten wolle?

Erna wurde sichtbar durch diese Frage erschüttert. Sie richtete sich auf – ein freudiger Schrecken zitterte bei'm Klange des geliebten Namens durch alle ihre Nerven, und in ihren Zügen schimmerte die selige Verklärung des Danks zu Gott über die Möglichkeit, ihn noch einmal zu sehen, die sie still gewünscht, aber nie gehofft, und noch weniger jemals ausgesprochen hatte.

O, wenn er vielleicht hier ist, so säume nicht, ihn mir zu bringen! sagte sie. Meine[300] Augenblicke sind gezählt, und mehr als irgend ein Mensch ahnen kann, sehn' ich mich, ihn noch einmal zu sprechen.

Als Alexander diese Worte vernahm, konnte er sich nicht länger zurückhalten. Er öffnete die Thür, die ihn von ihr trennte, und warf sich stumm an ihrem Lager nieder, ihre Hand mit seinen Küssen und Thränen bedeckend.

Erna schaute ihn an mit einem Blicke, in dem ihre ganze Seele lag. So seh ich Dich doch noch einmal wieder, ehe ich sterbe, sprach sie, und in himmlischer Ruhe des Bewußtseyns, das mir durch keinen Vorwurf diesen heiligen Moment verbittert. Denn daß ich Dich geliebt habe – Dich allein auf Erden – das wird Gott verzeihen, da ich muthig strebte, mich rein zu erhalten im Kampfe zwischen Neigung und Pflicht. Mein Alexander! So dicht an der dunkeln Pforte stehend, die hinüber führt ins Land der Vergeltung, wo jedes schwere Opfer sich belohnt, und wo ich nicht vor mir selbst zu erschrecken brauche, oder vor dem, dessen Rechte ich gekränkt haben würde, hätt' ich meinem Herzen gefolgt – da darf ich Dir es frei bekennen, daß Du der Abgott meiner Seele warst, daß mein erstes, erwachendes Gefühl, so wie das letzte, das nun bald der Tod verlöscht, nur Dich umfaßte. Und auch jenseits noch! Ja, fest, wie ich an[301] die Fortdauer eines höheren Daseyns glaube, glaub' ich auch an die Dauer einer Liebe, in der allein ich erst, als sie mir klar wurde, die ganze Tiefe meines Wesens, den ganzen Umfang meiner geistigen Kraft erkannte.

Starr vor sich niederblickend, betäubt durch den wonnevollen Schmerz dieses Geständnisses am Rande des Grabes, das, die Geliebte zu verschlingen, sich bereits geöffnet hatte, hörte Alexander ihr zu.

So geh voran, Du Himmlische! da uns hienieden das Glück nicht lächeln wollte, sprach er, geh voran in eine bessere Heimath – ich folge Dir bald!

Da ergriff Erna mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit seine Hand, und drückte sie fest an das immer schwerer schlagende Herz. Ja, ich gehe voran, und werde Deiner warten, sagte sie; aber gelobe mir, mein Geliebter, mir nicht eher zu folgen, ehe Gottes Wille, nicht der rasche Entschluß des Lebensüberdrusses und der Verzweiflung, Dein Ziel steckt.

Alexander beugte sich herab auf ihre Hand, und flüsterte leise, in seinem Schmerz verloren: Du willst es – ich werde Dir gehorchen.

Und nun laß uns scheiden! fuhr sie fort. Trage das Leben, wie ein Mann, und gedenke oft dieser Stunde, der ersten und zugleich der[302] letzten, die das Band meiner Zunge lösete, und mir gestattete, Dir zu bekennen, wie theuer Du mir bist. Und wenn dereinst – ach, das Schicksal hat kein Mutterherz! – wenn meine Kinder – – noch sind sie unter der Obhut ihres Vaters, in dem Schutz, den ihnen die Natur anwies; aber die Verhältnisse der Menschen sind so wechselnd und schwankend – wenn sie einst verlassen und einsam wären im engen kalten Leben, o dann, Alexander, liebe in ihnen ihre Mutter noch fort – nimm Dich ihrer an, sei ihr Freund, ihr Rathgeber, ihr zweiter Vater. – Betrachte sie immer als das heilige Vermächtnis Deiner Erna. Gelobst Du mir auch dies?

Er erwiederte: ich gelobe es!

Und nun empfange meinen letzten Abschiedsgruß, sprach sie, den innigen Segen eines Herzens, das Dich liebte bis in den Tod! Ich werde meinem Gatten nicht verhehlen, daß ich Dich sah, aber ungern möcht ich, daß er Dich hier fände. Denn erst mein Grab wird friedlich wieder vereinen, was das Leben so feindselig geschieden hat. Daher erhalte mir die ungestörte Stille, die ich bedarf, um mich zu sammeln, und mein Gemüth würdig zu dem feierlichen Schritte vorzubereiten, der mich aus dieser mangelhaften Welt in eine bessere führt.

Sie verhüllte bei diesen Worten ihr Antlitz,[303] als wollte sie ihren Augen wehren, ihn länger anzuschauen. Noch einmal bebte der innige Druck ihrer Hand durch sein ganzes Wesen – dann winkte sie ihm zu, sich zu entfernen, und dumpf, in tonloser Betäubung, ohne sich dagegen aufzulehnen, oder irgend etwas zu erwiedern, folgte er gehorsam diesem stummen Befehle.

Und als am andern Morgen Benedikt wie gewöhnlich hingegangen war, nach dem Befinden der Kranken zu fragen, kam er wieder mit der Nachricht, die ihm Auguste ertheilt hatte: Ihr sei jetzt recht wohl, denn bereits um Mitternacht sei sie verschieden.

Er scheute sich, seinem Herrn diese Schreckensbotschaft zu bringen; aber zu seiner Verwunderung nahm sie Alexander gefaßt, ja sogar in stiller Freundlichkeit des Gemüths auf, ohne scheinbar von ihr ergriffen zu werden.

Denn mit jener stillen Zufriedenheit, mit welcher man den Piloten auf hohem Meere in seinem leichten Kahn mit den Wellen kämpfen und dann in einen sichern Hafen sich retten sähe, betrachtete er das letzte heilige Asyl, in das sie sich geflüchtet hatte, und das nicht mehr düster ist, sobald der Mensch nur die dunkle Schwelle erst überschritten hat, die dahin führt. Das Gefühl, aus welchem sich ihm die höchste Wonne so wie der bitterste Schmerz entwickelt hatte, erlosch[304] nicht mit der irrdischen Flamme ihres Daseyns – es glühte fort in seiner Seele, und veredelte seinen Charakter immer mehr. Als bald darauf der Krieg endlich ausbrach, kämpfte er tapfer mit für die Freiheit und Unabhängigkeit seines Vaterlandes. Es war ihm wohl oft, als ob ein tiefes, lechzendes Sehnen ihn in den wildesten Sturm der Gefahren trieb – als wenn eine leise Hoffnung ihm zuflüsterte, dort, in blutiger Schlacht, werde sein Leben sich enden. Dann aber vernahm er jedesmal Erna's liebkosende Stimme, die ihm gebot, den Tod nicht zu suchen, und in stiller Ergebung sein Loos zu tragen. Seufzend unterwarf er sich der höheren Bestimmung, die vermittelst ihrer Wünsche ihn zu leben zwang, und so viel er des kriegerischen Lorbers auch brach, so war er doch stets nur muthig, nicht tollkühn, und milde Menschlichkeit stand, durch die Erinnerung an Erna ihm immer gegenwärtig, selbst im tobendsten Gefecht, an seiner Seite.

Als der Friede ihn endlich in die Residenz zurück führte, hatte neben vielen Bewohnern derselben, ein bösartiges Nervenfieber auch Linovsky hinweggerafft.

Alexander, eingedenk der letzten Bitte, die Erna an ihn that, suchte sich Einfluß in die Erziehung ihrer Kinder zu verschaffen, und es gelang[305] ihm. In der herrlich sich entwickelnden Blüthe ihrer Anlagen, und in dem rührenden Nachhall mütterlicher Güte und Reinheit, der oft in ihren jungen Seelen ihm erklang, ging ihm ein neuer Lebensfrühling auf. Treu übte er die Pflichten, die das Vertrauen der Geliebten ihm so heilig übertrug, und es war als ob ihr Segen geistig ihn umschwebte, wenn er mit väterlicher Innigkeit für die Kinder ihres Herzens sorgte. So schien die Welt ihm nicht verödet. Auf eigenes Glück Verzicht leistend, hatte er doch einen Zweck gefunden, der seinem Daseyn Bedeutung gab, und ihm alle Kräfte seiner Seele widmend, blieb sein Gemüth, in dem Erna's Bild unauslöschlich wohnte, stets ein Tempel für das Heilige und Höhere im Leben.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820.
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