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[195] Chor.
Warum schweigst du alter Zecher,
Siehst in deinen leeren Becher?
Einer.
Ich schwieg nur, weil ich kalkulirte
In Adam Riesens Rechenbuch:
Wie viel des Weines mir gebührte,
Es giebt des Weines schon genug;
Ich hab' den rheinschen Berg gemessen
Und den Ertrag rein abgeschätzt,
Ein Jeder kann in Deutschland essen
Und trinken soll ein Jeder jetzt.
Chor.
Sprich, was Jedem hier gebühret,
Ob du richtig kalkuliret.
[195] Einer.
Auf jeden Deutschen kommt gerade
Tagtäglich ein Maaß rheinscher Wein;
Seht unsres Gottes große Gnade,
Die uns bescheert am guten Rhein!
Doch ach! die bösen rheinschen Leute,
Die trinken täglich schier zehn Maaß,
So ward nun unser Wein zur Beute
Des Volks, das nah' am Rheine saß.
Chor.
Rück' es ein in jede Zeitung,
Wahrheit siegt in höh'rer Leitung.
Einer.
Wahrhaftig, übrig müßte bleiben,
Gäb's nicht am Rhein so durst'ge Dieb',
Sie würden uns darum verschreiben:
Daß er nicht auf dem Lager blieb;
Ich möchte nur den Schelmen wissen,
Der meinen Wein trinkt täglich aus!
Ich rührte sicher sein Gewissen,
Daß er mich ladet in sein Haus.
Chor.
Fall ins Haus ihm mit der Thüre,
Einen Jeden quotisire!
Einer.
Und will er nicht, so soll entscheiden
Der deutsche Bund vor Allem dies:
Ob nicht die Rechnung ganz bescheiden,
Und daß ich nicht zu viel verhieß;
Verjährung nimmt nicht Menschenrechte,
Und löscht nicht Adams Rechenbuch,
Im deutschen menschlichen Geschlechte
Hat jeder künftig Wein genug.
[196] Chor.
Sey zum Bundestags-Gesandten
Heut ernannt von Zechverwandten.
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