Gebet-Lied


Um Zufriedenheit, wider Murren und Ungedult

[65] Nach der Singweise: So wünsch ich ihr ein gute Nacht, usw.


1.

O Grosser Gott, ich klage dir mit Reu

Die Ungedult, so mich besessen,

Die wider dich sich setzet ohne Scheu

Dir Gnaden denket abzupressen,

Die für und für

Den deinen hier

Nach meinem Willen will abmessen.


2.

Bald bild' ich mir Verdienst und Frömmkeit ein

Und fordre Glück von deinen Händen

Als eine Schuld vor mein Unschuldig-seyn.

Wilst du nit stracks Erhörung senden,

So wird gar bald

Die Andacht kalt,

Ich denk von dir mich abzuwenden.


3.

Mit Neid seh' ich deß Nächsten Wolstand an,

Bin nicht zufrieden mit dem Meinen;

Mein Aug sein Glück nit wol vertragen kan,

Sein lachen darff mich machen weinen.

Ich kan gar nicht

Der Sonne Liecht

Auf Bös' und Gute sehen scheinen.


4.

Ach pflanze du Zufriedenheit in mich,

Stell' ab und still das Widerbellen!

Mit Murren, Herr, werd ich erzürnen dich

Und mit Gefahr zurücke prellen.

Was du versehn,

Das muß geschehn,

Solt alle Welt sich widerstellen.


5.

Ach! ich bin böß, wo ich am frömmsten bin:

Ich kämpfe wider dich mit Sünden.

Was, Lohn? bey dir ich Straffe nur verdien:

Solt dann ein Mensch ihm Gott verbinden?

Ein Gnaden-gab'

Ist alle Haab:

Kein Stäublein wir verdienen könden.
[66]

6.

Ein Sünder pocht je nichts dem Richter ab:

Ich will in Demut hoffen Gnaden.

Ich wünsche nichts: Ich weiß, daß ich offt hab

Begehret meinen bittren Schaden.

Du weist, was mir

Nütz, nötig hier;

Du kanst und wirst mich wol berahten.


7.

Dein Will, ô GOTT, soll auch mein Wille seyn,

Ich soll und will dir nichts fürschreiben.

Schenk, wem du wilst, die Gaben: sie sind dein;

Mir wird mein Teihl doch übrig bleiben.

Dann was seyn sol,

Das schickt sich wol:

Kein Mensch kan solches hintertreiben.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 65-67.
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