[61] 1.
Meine Seel, itzt ist es zeit,
Laß uns sonder warten
Jesu geben das Geleit
Zum Olivengarten.
Weil im Garten sich der Tod
Erstlich angespunnen,
Hat das Ende unsrer Noht
Auch dar anbegunnen.
2.
Tod, du machst dem Leben bang,
Angst ihn überfället;
Mit dir er sich müde rang,
Schwermuth ihn verstellet.
Trauret selbst die Freudigkeit?
Ach der Heyland klaget!
Selbst die Hülff üm Hülffe schreyt,
Unser Tröster zaget!
3.
Mein' und aller Menschen Sünd
Ihn itzund muß drücken,
Die Gott seinem lieben Kind
Selbst legt auff den Rücken.
Gottes Zorn, ein schwerer Last,
Sünd', ein grosser Lermen,
Tod, O wie ein bittrer Gast,
Macht Gott selbst sich hermen.
4.
Ach sein Schweiß ist rothes Blut!
Seht doch die Corallen!
Schauet eine Purpurflut
Tropfenweiß abfallen.
Fliesset, schiest, ihr Tröpfelein,
O ihr Blut-Goldgulden,
Daß bezahlet mögen seyn
Meine rothte Schulden.
5.
Giesset eine Threnenflut,
Meine Augen Brunnen:
Dieses heilsam-heilge Blut
Sey damit berunnen.
Mängt euch unter diesen Schweiß,
Buß und Heyl zu binden.
Dieses Blut mich wäschet weiß,
Machet rein von Sünden.
6.
Jesu, dir ward bang vor mich,
Meine Angst zu enden,
Wann itzt Tod und Sünde sich
Mir zuwider wenden.
Ach mich tröst' in allem Leid
Diß dein geistlichs Leiden:
Dein Blut mich im Tod begleit
Zu den Himmelsfreuden.
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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
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