Die ernsthafte Fastnacht

[162] 1814


Wohl vor Wittenberg auf den Schanzen

Sind der edlen Werber viel,

Wollen da zur Fastnacht tanzen

Ein gar seltsam Ritterspiel.


Und die Stadt vom Felsen droben

Spiegelt sich im Sonnenschein,

Wie ein Jungfräulein erhoben –

Jeder will ihr Bräut'gam sein.


Jäger! laßt die Hörner klingen

Durch den Morgen kalt und blank!

Wohl, sie läßt sich noch bezwingen,

Hört sie alten deutschen Klang.


Drauf sie einen Reiter schnelle

Senden, der so fröhlich schaut,

Der bläst seinen Gruß so helle,

Wirbt da um die stolze Braut.


»Sieh, wir werben lang verstohlen

Schon um dich in Not und Tod,

Komm! sonst wollen wir dich holen,

Wann der Mond scheint blutig rot!«


Bleich schon fallen Abendlichter –

Und der Reiter bläst nur zu,[162]

Nacht schon webt sich dicht und dichter –

Doch das Tor bleibt immer zu.


Nun so spielt denn, Musikanten,

Blast zum Tanz aus frischer Brust!

Herz und Sinne mir entbrannten,

O du schöne, wilde Lust!


Wer hat je so 'n Saal gesehen?

Strom und Wälder spielen auf,

Sterne auf und nieder gehen,

Stecken hoch die Lampen auf.


Ja der Herr leucht't selbst zum Tanze,

Frisch denn, Kameraden mein!

Funkelnd schön im Mondesglanze

Strenges Lieb, mußt unser sein! –


Und es kam der Morgen heiter,

Mancher Tänzer lag da tot,

Und Victoria blies der Reiter

Von dem Wall ins Morgenrot.


Schlesier wohl zu Ruhm und Preise

Haben sich dies Lieb gewonnen,

Und ein Schlesier diese Weise

Recht aus Herzenslust ersonnen.


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 162-163.
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