Der 42. Psalm

[836] Quemad. desiderat cervus.


Inn der weis: Inn dich hab ich gehoffet HERR, etc.


1.

Gleich wie ain Hirz nach wassern schreit

wann jn die Hund verjagt han weit,

also mein Söl auch schreiet

Nach dir, O GOT,

inn diser Not,

da jren Feind sie scheuet.


2.

Nach GOT dürst mein Söl nun zur Not,

ja nach dem lebendigen GOT:

wan wird ich dahin kommen,

Da ich anseh

GOTS Angsicht meh

im Tempel aller Frommen?[836]


3.

Mein tränen sint mein speis alltag,

weil täglich ich hör dise sag,

wa jzunt mein Got pleibe:

Wan ich hör dis,

mein Herz ich gis

bei mir selbs aus meim leibe.


4.

Dan ich gern ging aus sonderm gfalln

mit Gots Volk zum Haus GOTES walln

mit danken vnd frolocken,

Da der Hauf gern

feiret dem HERRN,

da wer ich vnerschrocken.


5.

Ach, mein Söl, was betrübst dich doch,

bist inn mir so vurnig noch?

harr auf GOT! dan ich werde

Im dankē schir,

das er hilft mir

mit seim Gsicht aus beschwerden.


6.

Mein GOT, mein Söl ist mir betrübt,

darum mir dan zu dir gelibt

vom Jordanischen Lande

Vnd vom Hermon

auf dein Sion,

da mir dein Trost beistande.


7.

So förcht ich mich vor kainer flut,

wie tief sie ist vnd schrecktich thut

vnd vnglücks Abgrund were,

Sehr rauscht vnd praußt,

mir doch nicht graußt,

wann ich dein Wort nur höre.


8.

Dan der HERR verhaißt vnd gebit,

das des tags aufgang seine Güt,

das ich des Nachts jm singe

Vnd bett vm gnod

meins Lebens GOT,

welcher schaft, das mir glinge.


9.

Zu GOT meim Felsen ich dan sag

›warum vergißt mein, das ich klag

mein Trost sei mir gewichen?

Warum mus ich

gehn trauriglich,

wan mich mein Feind trängt gschlichen?‹


10.

Inn meim gebain ists als ain Mort,

wann ich mus hören dise Wort

von meinen Feinden sprechen

›Wa ist dein GOT?‹

ach, wie ain spott,

der mir das herz möcht prechen!


11.

Nun, mein Söl, was betrübst dich noch,

bist in mir so vnruig doch?

trau GOT, dan ich will sehnlich

Im dankē schir,

das er hilft mir

als mein GOT augenscheinlich.


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1874, S. 836-837.
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