Auf der Treppe von Sanssouci

[273] 7./8. Dezember 1885


(Zu Menzels 70. Geburtstag)


Von Marly kommend und der Friedenskirche,

Hin am Bassin (es plätscherte kein Springstrahl)

Stieg ich treppan; die Sterne blinkten, blitzten,

Und auf den Stufenaufbau der Terrasse

Warf Baum und Strauchwerk seine dünnen Schatten,

Durchsichtige, wie Schatten nur von Schatten.

Rings tiefe Stille, selbst der Wache Schritt

Blieb lautlos auf dem überreiften Boden,

Und nur von rechts her, von der Stadt herüber,

Erscholl das Glockenspiel.

Nun schwieg auch das,

Und als mein Auge, das auf kurze Weile

Dem Ohr gefolgt war, wieder vorwärts blickte,

Trat aus dem Buschwerk, und ich schrak zusammen,

Er selbst, im Frackrock, hinter ihm das Windspiel

(Biche, wenn nicht alles täuschte), dazu Krückstock

Und Hut und Stern. Bei Gott, es war der König.


Was tun? Ich dacht' an Umkehr; doch sein Auge,

Das Fritzen-Auge bannte mich zur Stelle;

So hielt ich denn und machte Front.

»Wie heißt Er?«[273]

Ich stotterte was hin.

»Und sein Metier?«

»Schriftsteller, Majestät. Ich mache Verse!«


Der König lächelte: »Nun hör' Er, Herr,

Ich will's Ihm glauben; keiner ist der Tor,

Sich dieses Zeichens ohne Not zu rühmen,

Dergleichen sagt nur, wer es sagen muß,

Der Spott ist sicher, zweifelhaft das andre.

Poète allemand! Ja, ja, Berlin wird Weltstadt.

Nun aber sag' Er mir, ich les' da täglich

(Verzeih' Er, aber Federvieh und Borste

Wohnt auf demselben Hof und hält Gemeinschaft),

Ich les' da täglich jetzt in den Gazetten

Von Menzelfest und siebzigstem Geburtstag,

Ausstellung von Tableaux und von Peintüren

Und ähnlichem. Ein großer Lärm. Eh bien, Herr,

Was soll das? Kennt Er Menzel? Wer ist Menzel?«


Und dabei flog ein Zug um seinen Mund,

Als wiss' er selber Antwort auf die Frage.


»Zu Gnaden Majestät«, begann ich zögernd,

»Die Frag' ist schwer, das ist ein Doktorthema;

Mein Wissen reicht bis Pierer nur und Brockhaus.

Ja, wer ist Menzel? Menzel ist sehr vieles,

Um nicht zu sagen alles; mind'stens ist er

Die ganze Arche Noäh, Tier und Menschen:

Putthühner, Gänse, Papagei'n und Enten,

Schwerin und Seydlitz, Leopold von Dessau,

Der alte Zieten, Ammen, Schlosserjungen,

Kathol'sche Kirchen, italien'sche Plätze,

Schuhschnallen, Bronzen, Walz- und Eisenwerke,

Stadträte mit und ohne goldne Kette,

Minister, mißgestimmt in Kaschmirhosen,

Straußfedern, Hofball, Hummermayonnaise,

Der Kaiser, Moltke, Gräfin Hacke, Bismarck –«

»Outrier' Er nicht.«[274]

»Ich spreche nur die Wahrheit.

Bescheidne Wahrheit nur. Er durchstudierte

Die groß' und kleine Welt; was kreucht und fleucht,

Er gibt es uns im Spiegelbilde wieder.

Am liebsten aber (und mir schwoll der Kamm,

Ich war im Gang, ›jetzt oder niemals‹ dacht' ich),

Am liebsten aber gibt die Welt er wieder,

Die Fritzen-Welt, auf der wir just hier stehn:

Im Rundsaal, vom Plafond her, strahlt der Lustre,

Siebartig golden blinkt der Stühle Flechtwerk,

Biche (›komm, mein Bichechen‹) streift die Tischtuchecke,

Champagner perlt, und auf der Meißner Schale

Liegt, schon zerpflückt, die Pontac-Apfelsine ...«


»Nun lass' Er nur. Ich weiß schon.«

Und er lüpfte

Den Hut und ging. Doch sieh, nur wenig Schritte,

So hielt er wieder, wandte sich und winkte

Mich an die Seit' ihm. »Hör Er, Herr; ein Wort noch:

Er hat bestanden; so lala. Denn wiss' Er,

Ich kenne Menzel wie mich selbst und wär' ihm

Erkenntlich gern. Emaille-Uhr? Tabatière?

Vielleicht ein Solitaire? Was macht ihm Spaß wohl?«


»Ach, Majestät, was soll ihm Freude machen?

Er hat vollauf von Gütern dieser Erde,

Hat Ansehn, Ehre, Titel, Ordenskreuze

(Pour le mérite, natürlich Friedensklasse),

Hat Freunde, Mut und Glück, und was die Hauptsach',

Hat seine Kunst ...«

»Und fehlt ihm nichts?«

»Rein gar nichts.«

»Na, das ist brav. Comme philosophe! Das lob' ich

Und will nicht stören. Aber eines sagt ihm:

Ich lüd' ihn ein (er mag die Zeit bestimmen,

Ein Jahrer zehne will ich gern noch warten),

Ich lüd' ihn ein nach Sanssouci; sie nennen's

Elysium droben, doch es ist dasselbe.[275]

Dort find't er alte Freunde: Gen'ral Stille,

Graf Rotenburg, die ganze Tafelrunde,

Nur Herr von Voltaire fehlt seit Anno 70;

Franzose, rapplig. Dieser Platz ist frei.

Den reservier' ich ihm. Bestell' Er's. Hört Er?

Ich bin Sein gnäd'ger König. Serviteur!«


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 273-276.
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