7. An das Angesicht (Salve caput cruentatum)
O Haupt voll Blut und Wunden

[69] 1.

O Haupt voll Blut und Wunden,

Voll Schmerz und voller Hohn,

O Haupt, zu Spott gebunden

Mit einer Dornenkron!

O Haupt, sonst schön gezieret

Mit höchster Ehr und Zier,[69]

Jetzt aber hoch schimpfieret,

Gegrüßet seist du mir!


2.

Du edles Angesichte,

Davor sonst schrickt und scheut

Das große Weltgewichte,

Wie bist du so bespeit,

Wie bist du so erbleichet,

Wer hat dein Augenlicht,

Dem sonst kein Licht nicht gleichet,

So schändlich zugericht?


3.

Die Farbe deiner Wangen,

Der roten Lippen Pracht

Ist hin und ganz vergangen,

Des blassen Todes Macht

Hat alles hingenommen,

Hat alles hingerafft,

Und daher bist du kommen

Von deines Leibes Kraft.


4.

Nun, was du, Herr, erduldet,

Ist alles meine Last,

Ich hab es selbst verschuldet,

Was du getragen hast!

Schau her, hier steh ich Armer,

Der Zorn verdienet hat,

Gib mir, o mein Erbarmer,

Den Anblick deiner Gnad.


5.

Erkenne mich, mein Hüter;

Mein Hirte, nimm mich an!

Von dir, Quell aller Güter,

Ist mir viel Guts getan.

Dein Mund hat mich gelabet[70]

Mit Milch und süßer Kost;

Dein Geist hat mich begabet

Mit mancher Himmelslust.


6.

Ich will hier bei dir stehen,

Verachte mich doch nicht!

Von dir will ich nicht gehen,

Wann dir dein Herze bricht.

Wann dein Haupt wird erblassen

Im letzten Todesstoß,

Alsdann will ich dich fassen

In meinen Arm und Schoß.


7.

Es dient zu meinen Freuden

Und kommt mir herzlich wohl,

Wenn ich in deinem Leiden,

Mein Heil, mich finden soll.

Ach, möcht ich, o mein Leben,

An deinem Kreuze hier

Mein Leben von mir geben,

Wie wohl geschähe mir!


8.

Ich danke dir von Herzen,

O Jesu, liebster Freund,

Für deines Todes Schmerzen,

Da du's so gut gemeint.

Ach gib, daß ich mich halte

Zu dir und deiner Treu

Und, wenn ich nun erkalte,

In dir mein Ende sei.


9.

Wenn ich einmal soll scheiden,

So scheide nicht von mir;

Wenn ich den Tod soll leiden,

So tritt du dann herfür.[71]

Wenn mir am allerbängsten

Wird um das Herze sein,

So reiß mich aus den Ängsten

Kraft deiner Angst und Pein.


10.

Erscheine mir zum Schilde,

Zum Trost in meinem Tod

Und laß mich sehn dein Bilde

In deiner Kreuzesnot.

Da will ich nach dir blicken,

Da will ich glaubensvoll

Dich fest an mein Herz drücken.

Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 69-72.
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