Beim Erblicken von Stuttgart am 1. Juni 1830

[310] Noch einmal sah ich sie, sie sinds die Mauren,

Die mich im Knabenalter einst umschlossen,

Wo sich zuerst Gefühle mir erschlossen,

Die noch am Abend meines Lebens dauren.

Wie könnt ich anders als herzinnig trauren,

Denk ich der Blüten, die mir da entsprossen.

Moos deckt dein Grab du liebster der Genossen!

Wen soll ich von uns beiden, wen bedauren?

Ich lebe noch, und du hast lang vollendet,

Doch ruht wie deins, mein Schicksal in der Hand

Die alles schafft und bildet und vollendet.

Sie war es, die als Knaben uns verband,

Drum hoff ich, laß sie mich wo nichts mehr endet,

Dich wiederfinden, wie ich einst dich fand.


Reinhold hatte im Sinne, das Leben seines Freundes in einer Reihe von Sonetten und Gedichten darzustellen, wie er auch noch viele hinterließ, deren Inhalt die Klage um seinen Freund ist.

Ich gebe aus ihnen noch folgendes, das bald nach dem[310] Tode des Freundes (also im Jahre 1812) aus seinem gepreßten Herzen floß:


Hunderte zeugten von ihm, wohin er folgte dem Schicksal,

Von der Tiber bis da, wo sich der Kulla erhebt.

Deutschlands Norden gewährte dem Pilger die andere Heimat,

Freiheit fand er im Schoß nützlichen Bürgervereins.

Dankbar reicht' er dafür die Übung göttlicher Kunst ihm,

Welche der Menschen Wehn lindert mit treuem Bemühn.

Hundert zeugen von ihm: nicht Mühsal minder noch Opfer,

Hülfreich war sein Geist, schöner noch diente sein Herz.

Bande der Lieb' und Natur vollendeten seine Verknüpfung

Mit der begünstigten Flur, väterlich ihm durch die Wahl,

Aber es lauerte Krieg, schon lauerte grimmige Habsucht

Auf das beschützte Gefild, Schauder bewegt' ihm die Brust.

Losbrach jetzt mit Gewalt der Furien Heer, der verkannte

Nicht die Gorgonengestalt: Hoffnung erstarb in dem Blick.

Heftiger brannte die Flamme, die lang an der Quelle des Lebens

Hatte gezehrt, die sonst edle Begeistrung geweckt,

Zeugte verzehrenden Gram, und wütete tödlich im Innern.

Schmach unglücklicher Zeit brach das zerfallene Herz.

Deutschland! ehre den Sohn, der feurig dich liebt' und beständig;[311]

Könnt er sterben für dich, hätt' er sein Blut dir geschenkt,

Doch du, gesunken unter den Völkern ließest den Söhnen

Statt des Todes um Sieg, übrig den Tod nur aus Schmerz!


Die Nachricht von seinem Tode, gerade als wir ihn wieder in die Arme schließen zu können hofften, traf uns schwer. Meine Gefühle nach seinem Verluste, sprach ich damals in nachstehenden Versen aus:


I.

Frisch aufgeblühet stand die Heimat wieder,

Versöhnt dich lieben Flüchtling zu empfangen,

Aus dunklem Grün mondhelle Blüten drangen,

Den Vögeln wuchs ein farbig neu Gefieder.


Aus dunklen Wäldern tönten ihre Lieder,

Im Tal, auf Bergen Hirt und Hirtin sangen,

Es war, als senkt' mit aller Farben Prangen

Der reiche Himmel sich zur Erde nieder.


Und Arme waren ausgereckt in Freude,

Und Herzen schlugen sehnend dir entgegen.

Vom rauhen Norden solltest du erwarmen.


Da nahm dich uns der Tod mit blassem Neide,

Nun welke nur, du reicher Frühlingssegen!

Was frommst du mehr mit deinem Schmuck uns Armen!


II.

Du teurer Bruder! der durchs steilste Leben

Kraftvoll, ein Wandrer ohne Stab, gegangen![312]

O könnt' auch ich die Herberg bald erlangen,

Die dir der Tod, der letzte Wirt, gegeben!


Nach hellem Trunk von heimatlichen Reben

Trugst du im fernen Norden heiß Verlangen.

In dieser Herberg hast du ihn empfangen,

Liebend der Heimat Geister dich umgeben.


Und nach dem Weg voll Unruh und Beschwerde,

Wie ruhen süß nun deine müden Glieder!

Wie ist dir's wohl im heimatlichen Bette!


Noch tobet wüster Streit hier auf der Erde,

Still blickt der Mond auf deinen Hügel nieder,

Und Blumen blühen friedsam an der Stätte.


III.

Du strebtest oft, ein herzlich Kind, mit Tränen

Zurück zur süßen Heimat, zu den Lieben,

Die fern im Kampf und Sturm dich mußten wähnen,

Indessen sie im sichern Port geblieben.


Du treues Herz! nun ist erfüllt dein Sehnen.

Mein Auge soll fortan sich nimmer trüben;

Hast deine Heimat nun, bist nun bei jenen,

An die du weinend Gruß und Kuß geschrieben.


Im Morgenrot seh' ich verklärt dich wallen,

Wo Sterne durch den Dom des Himmels ziehen,

Du gehst mit mir durch stille Aun und Haine;


Oft hör' ich deine liebe Stimme schallen,

Fühl' deinen Kuß auf meinen Lippen glühen,

Seh dich mitleidig lächeln, wenn ich weine.[313]

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 310-314.
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