Skulda

[240] Ich lernt' es im innersten Hain,

Welche Lieder der Barden ah!

In die Nacht deines Thals sinken, Untergang

Welch' auf den Höhen der Tag bleibend umstrahlt.


Ich sahe, noch beb' ich vor ihr!

Sah der richtenden Norne Wink!

Ich vernahm, hör' ihn noch! ihres Fluges Schlag,

Dass bis hinauf in des Hains Wipfel es scholl!


Gekühlt von dem wehenden Quell,

Sass und hatt' auf die Telyn sanft

Sich gelehnt Braga. Jetzt brachte Geister ihm,

Die sie, in Nächten des Monds, Liedern entlockt,
[241]

Die Norne Werandi, und sie

Hatt' in Leiber gehüllt, die ganz

Für den Geist waren, ganz jeden leisen Zug

Sprachen, Gebilder, als wärs wahre Gestalt;


Zehn neue. Sie nahten. Nur Eins

Hatte Minen der Ewigkeit!

Vom Gefühl seines Werths schön erröthend! voll

Reize des Jünglings, und voll Stärke des Manns!


Mit Furchtsamkeit trat es herzu,

Als es stehen die Norne sah,

Die allein nach des Tags fernen Hügeln führt,

Oder hinab, wo die Nacht ewig bewölkt.


Nachdenkender breitete schon

Skulda schattende Flügel aus;

Doch es sank nieder noch ihr der Eichenstab,

Dessen entscheidender Wink Thoren nicht warnt.


Die Neune betraten den Hain

Stolz, und horchten mit trunknem Ohr

Dem Geschwätz, welches laut Stimmenschwärme schrien,

Und von dem wankenden Stuhl Richter am Thal.
[242]

Sie schreckte das Lächeln im Blick

Skulda's nicht, und sie schlummerten

Noch getäuscht, ahndungsfrey auf den Kränzen ein,

Welche jetzt grünen ihr Traum, welken nicht sah.


Ah Norne! ... Sie hub sich im Flug,

Schwebt', und wies mit dem ernsten Stab'

In das Thal! Taumellos endlich, schlichen sie

Kürzeren, längeren Weg, aber hinab!


Dem Einen nur wandte sie sich

Nach den schimmernden Hügeln hin!

Es entfloss Lautenklang ihrer Flügel Schwung,

Da sie sich wandt', und der Stab Ewigkeit wies!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 240-243.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon