Teone

[263] Still auf dem Blatt ruhte das Lied, noch erschrocken

Vor dem Getös des Rhapsoden, der es herlas,

Unbekant mit der sanftern Stimme

Laut', und dem volleren Ton.


Da, wo er schrie, lag ein Homer. Auf den Dreyfuss

Setzt' ihn sein Wahn, und verbarg ihm, dass ihm stutzte,

Stand der Strom des Gesangs, des Dichters

Genius zornig entfloh.


Aber o lern, Sängerin selbst, von Teonens

Zaubernden Kunst, wenn dem Inhalt sie wie Wachs schmilzt,

Und der Seele des Liedes gleiche,

Schöne Gespielinnen wählt.
[264]

Hörst du, wie sie an der Gewalt des Rhapsoden

Rächet das Lied! wie dem Ohre sie es bildet!

Sind nicht, Sängerin, dieser Töne

Wendungen auch Melodie?


Ja Melodie innig vertraut mit des Herzens

Feinstem Gefühl! nicht die Haltung, wie die Flöte

Tönet, oder wie deine Stimme

Über die Flöte sich hebt.


Sage, warum bebst du? was stürzt dir die Thräne

Eilend herab? was besänftigt nun dein Herz dir?

Thats Teone nicht auch? und rührt dich

Etwa der Dichter allein?


Höre, für sie dichtet' er! hör', auch die kleinste

Kunst des Gesangs ist Teonen nicht verborgen!

Folg ihr, wie in des stolzen Rythmus

Tanz sie mit Leichtigkeit schwebt!


Pflanze für sie Blumen im Hain an dem Bache,

Nossa, dass ich, wenn mit Einklang sie vielleicht einst

Meiner Lieder Gefühl begleitet,

Kränze Teonen ihr Haar!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 263-265.
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