Das Waldgespräch

[594] MEPHISTOPHELES.

Hörst du im Wald des Herbstes Räuberpfiff,

Mein Freund, und hörst du rauschen seinen Griff?

O schade, daß der Lenz nicht hundertmal

Mehr grünes Laub getrieben hat im Tal,

Auf daß der Herbst mit hundertfacher Beute

Hinsausend jetzo mir das Herz erfreute!

Denn weh zumal tut Menschen das Verlieren

Und nach der Sommerlust ihr erstes Frieren.

FAUST.

Nein! es ist elend, daß des Frühlings Leiter

Zu Blüt und Lust hinauf nicht reichet weiter,

Daß alles ist so knapp gezählt auf Erden!

Bankbrüchig muß Natur in allen Jahren

Der Forderung der armen Menschen werden

Und zur Erholung lange Winter sparen.[594]

MEPHISTOPHELES.

Das seh ich gern, wenn Herbst mit Sturmgeblase

Das Laub den Menschen wegführt vor der Nase;

Und lieber noch, wenn schon der Sommer barsch

Der grünen Hoffnung auf der Flur

In Hagelwettern trommelt einen Marsch,

Daß sie sich trollt bis auf die letzte Spur.

Mir ists ein Anblick immer zum Entzücken,

Wenn die Natur dem Menschen kehrt den Rücken,

Dem undankbaren, feigen und stupiden,

Der sie verkannt, verraten und gemieden.

O hätt ich einen Juden jetzt zur Stelle!

FAUST.

Wozu der Jude, mürrischer Geselle?

MEPHISTOPHELES.

Den Juden möcht ich drillen scharf und plagen

Für seines Volks Vergehn in alten Tagen.

Die Juden haben euch die Welt verpfuscht;

Der Segensgeist der Indier und Hellenen

Ist ungenutzt an euch vorbeigehuscht;

Nun muß die Zeit ob eurer Dummheit gähnen.

Die Juden tatens, die Messiasnarren

Verfuhren euch so tief und fest den Karren.

Messias heißt der Keil, den sie getrieben

Hinein, wo Mensch sich und Natur berührten;

Getrennt ist sie nun hier, er dort geblieben,

Seit auf dem Felde sangen blöde Hirten.

In jener Nacht, der schlimmsten aller Nächte,

Ward das ersehnte Kindlein hergetan;

Die Juden, zitternd, ahnten ihren Wahn,

Doch sprach ihr Schreck, es sei nur nicht der Rechte.

Schreck blieb im Antlitz den Naturverrätern,

Und unaustilgbar blieb er auch den spätern;[595]

Mit scharfem Griffel grub in jener Stund,

Durchschneidend alle Zukunft, die Natur

Den Nachgeschlechtern ein des Fluches Spur:

›Die Juden brachen mir den heiligen Bund!‹ –

Zu sühnen jenen alten Fluch, ersteht

Dereinst ein großer Jude; doch zu spät!

Ein weiser Schreiber nie vergeßner Schriften,

Wird an den Todespfahl er Jesum schlagen

Mit seines Geistes diamantnen Stiften,

Den Namen von der Dornenkrone tragen.

Doch sind erstorben euch urkräftige Triebe,

Verwelkt die wunderbaren Herzensblüten,

Die starken Lieder, zaubervollen Mythen,

Die götterzeugende gewaltige Liebe.

Verraten ward Natur, und ihr Vertrauen

Habt ihr verscherzt und eingebüßt für immer;

Ihr mögt ihr forschend in das Antlitz schauen,

Ihr scheues Herz erschließt sich euch doch nimmer;

Denn wer nicht sie zum Höchsten sich erkoren,

Wer jenseits Götter sucht, hat sie verloren.

FAUST.

Was kann ein Weiser noch dem Menschen frommen?

Ist der Messiasglaube ihm genommen

Und das Naturorakel ihm verklungen,

Wer führt ihn durch die Erdendämmerungen?

Wohin wird sich das Menschenvolk noch wenden?

Wie wird auf Erden noch sein Schicksal enden?

MEPHISTOPHELES.

Mein Faust, ich will dir einen Tempel bauen,

Wo dein Gedanke ist als Gott zu schauen.

Du sollst in eine Felsenhalle treten

Und dort zu deinem eignen Wesen beten.[596]

Dort wirst du's einsam finden, still und kühl;

Tief unten hörst du fern das Weltgewühl,

Wie von den ätherklaren Alpenzinnen

Ein Wandrer unten hört die Bäche rinnen.

Du kannst das Los des Mannes dort genießen,

Wie er die Weltgeschichte wird beschließen.

Doch sieh dich vor, daß du nicht wirst zum Spotte!

Erinnre dich in Welschland jener Grotte;

Dort lagert tief am Boden böse Luft,

Entstiegen gährungsvoller Erdenkluft;

Doch in den obern Schichten ists gesund,

Und atmen kann dort nur, wer mit dem Mund

Ein Hochgewachsner aus der Tiefe taucht;

Doch wer, kurzbeinig, einen Herrn noch braucht,

Der Hund, das Kind in jener Grott ersticken.

So ist der Tempel, drein ich dich will schicken.

FAUST.

Das leuchtet ein! es gilt, daß ich die Seele

Aus Christus und Natur heraus mir schäle.

Ob ich mit ihm, mit ihr zusammenhange,

Umkreist mich unentrinnbar eine Schlange.

Ist Christus Gott, und folg ich seinem Schritt,

So bin ich, sei es auch auf Himmelspfaden,

Der Schuh nur, den sein Fuß erfüllt und tritt,

Ein niederes Gefäß nur seiner Gnaden.

Ists die Natur – bin ich ein Durchgang nur,

Den sie genommen fürs Gesamtgeschlecht,

Bin ohne Eigenzweck, Bestand und Recht,

Und bald bin ich verschwunden ohne Spur.

MEPHISTOPHELES.

In beiden Fällen ist dein Los fatal:

Du magst von ihm, von ihr behandelt sein,[597]

Ob en canaille oder en canal;

Drum schließe trotzend in dich selbst dich ein!

FAUST.

Behaupten will ich fest mein starres Ich,

Mir selbst genug und unerschütterlich,

Niemandem hörig mehr und untertan,

Verfolg ich in mich einwärts meine Bahn.

MEPHISTOPHELES.

Ich aber diene dir als Grubenlicht.

FAUST.

Bin ich unsterblich oder bin ichs nicht?

Bin ichs, so will ich einst aus meinem Ringe

Erobernd in die Welt die Arme breiten

Und für mein Reich mit allen Mächten streiten,

Bis ich die Götterkron aufs Haupt mir schwinge!

Und sterb ich ganz – wohlan! so will ichs fassen

Nicht so, als hätte mich die Kraft verlassen,

Nein! selbst verzehr ich mich in meinem Strahl,

Verbrenne selbst mich wie Sardanapal,

Samt meiner Seele unermeßnen Schätzen,

Mich freuend, daß sie nimmer zu ersetzen!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 594-598.
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