Die Lektion


[548] Hofgarten einer Residenz.

Des Königs erster Günstling und Minister, Faust und Mephistopheles als Scholast, in einer Allee spazierend.


MINISTER.

Geehrte Herrn, ich bin entzückt,

Daß mir zu finden ist geglückt

Ein paar so köstliche Talente.

O daß ich doch die Mittel kennte,

Zu lohnen solche Trefflichkeit!

MEPHISTOPHELES.

Wir sind zu Eurem Dienst bereit.

Talente, Herr, von unsrer Art

Sind für gemeinen Lohn zu zart;

Für mich und diesen Musensohn

Ists reichlicher Genuß und Lohn,

Zu sehn, wie unsre Phantaseien

So recht verfangen und gedeihen.

MINISTER zu Faust.

Ihr also, hochgelahrter Mann,

Dem sich kein Stern der Fakultäten

In artibus vergleichen kann,

Ihr seid vorerst von mir gebeten,

An meines Fürsten Trauungsfeier[548]

Zu schmücken morgen Eure Leier

Mit einem feinen, blühend warmen

Und schmeichelhaften Hochzeitskarmen;

Daß Ihr darin den hohen Geist,

Die unvergänglich großen Werke,

Die Tapferkeit des Königs preist

Und seine schöne Jugendstärke.

Auch lasset über Eure Saiten

Der Braut erhabne Zierden gleiten,

Mit denen wirklich sie begabt,

Und solche, die sie nie gehabt,

So, daß sie selbst nicht unterschiede

Die wahren und die angesungnen

Liebreize in dem schlauverschlungnen

Ganz meisterhaften Hochzeitsliede.

FAUST.

Ich will, was meine Kräfte können,

Das Fest mit einem Liede zieren;

Doch müßt Ihr mir die Ehre gönnen,

Es dann auch selbst zu deklamieren;

Kein andrer spricht wie der Poet

Ein Lied, das ihm von Herzen geht.

MINISTER.

Ihr tätet zwar mir eine Liebe,

Wenn morgen mir die Ehre bliebe,

Was Ihr gedichtet, vorzutragen,

Doch will ich dem Gewinn entsagen.

MEPHISTOPHELES.

Das Lied wird gut, ich steh dafür,

Ihr klopftet an die rechte Tür.[549]

FAUST abgehend.

Ich will im Schatten jener Fichten

Euch die bestellten Verse dichten.

MINISTER zu Mephistopheles.

Und Ihr, hochpreislicher Scholast,

Ihr wißt gewiß so manches noch,

Was recht in meine Pläne paßt;

Fahrt fort in Euern Reden doch,

Es unterbrach Euch, o verzeiht,

Die Hochzeitsangelegenheit.

Ihr seid mein Mann, noch fand ich nie

Solch ein politisches Genie.

Vielwerter Freund, habt doch die Güte

Und laßt mich weiden an der Blüte

Der Staatsweisheit, die Ihr gefunden

In so beglückten Forscherstunden.

MEPHISTOPHELES.

Das Erste also, wie gesagt,

Wird immer sein: das Volk geplagt.

MINISTER.

Wenn aber sich das Volk empört?

MEPHISTOPHELES.

Nur in zwei Fällen brichts das Gitter:

Wenn Ihrs geplaget allzubitter,

Wenn Ihrs zu plagen aufgehört;

Steht das Euch nicht im hellsten Lichte,

So seid Ihr schwach in der Geschichte.[550]

MINISTER.

Ich geb es zu; doch nennet, was

Gibt uns der Plage rechtes Maß?

MEPHISTOPHELES.

Ihr Herrscher über Volk und Land,

Das ist der Klugheit rechter Stand:

Verkümmert stets, doch nie zu scharf,

Dem Volk den sinnlichen Bedarf,

Und lenket so all sein Begehren

Nach dem, was ihr ihm könnt gewähren.

So wird es, nach dem Nächsten greifend,

Niemals weitsichtig, überschweifend,

Nach dem gelüsten frechverwegen,

Was nicht in eurer Macht gelegen.

Das Volk sich gerne selbst belügt,

Es ist am Ende hochzufrieden

Und untertäniglich vergnügt,

Wenn ihm des Zwingherrn Huld beschieden,

Was ohne ihn und seine Kette

Das dumme Volk von selber hätte.

MINISTER.

Der Grundsatz klingt für mich entzückend

Und ist gewiß auch volkbeglückend;

Doch türmen sich ihm allerwegen

Der Feinde gar zu viel' entgegen.

MEPHISTOPHELES.

Der schlimmste Feind für Euer Wirken

Ist der Gedanke, der da feiert,

Als Vagabund entfesselt steuert

Nach fernen, luftigen Bezirken.

Laßt Ihr ihn ziehn vom Heimatstrand[551]

Fort in die offne, weite See,

So schleppt er Euch zurück ins Land

Das Bild von jener schönen Fee,

Der Freiheit, die auf ferner Insel

Von Geistern wohnt; – das Volk wird toll,

Und: Freiheit! Freiheit! sehnsuchtsvoll

Ruft dann sein Fluchen, sein Gewinsel.

MINISTER.

Wie fügte sich der ewig schwanke,

Nie fest zu haltende Gedanke?

MEPHISTOPHELES.

›Verkümmert stets, doch nie zu scharf,

Dem Volk den sinnlichen Bedarf.‹

O haltet fest an diesem Worte.

Wie Weingeistsflamme, der Retorte

Dienstbar, muß Elixiere kochen,

Sollt Menschengeist Ihr unterjochen,

Solls Feuer Eurer Sklavenköpfe

Dem Magen heizen seine Töpfe.

Will jemals von den Nutzgeschäften,

Daran Ihr müßt die Geister heften,

Sich der und jener dispensieren,

Sich ins Ideenreich verlieren,

Will er in Schriften gar den Knechten

Einraunen was von Menschenrechten:

So müßt Ihr solche Herrscherplagen

In ihrem Keime gleich erschlagen.

Ich rat Euch hier das beste Mittel:

Wie für die Taten einst die Alten

Zensoren hielten, sollt Ihr halten

Zensoren als Gedankenbüttel.

Ja, so ein Zensor, so ein echter,

Ein unerbittlich scharfer Wächter[552]

Und tapferer Gedankenwürger,

Der leider! erst zum Heil der Bürger

In fernen, schönern Zeiten sproßt,

Das wäre so mein Augentrost!

Einst schlief ich unter grünen Bäumen,

Da ist sein Bild mir klar erschienen,

In meinen patriotischen Träumen:

Wie er mit lieben Forschermienen

Gedanken greift auf ihrer Flucht

Und ihre hüllenden Gewande,

Jed Fältlein lüftend, streng durchsucht,

Ob sie nicht führen Konterbande

An allerlei verruchten Dingen,

Ob sie ein Liebesbriefelein

Der Freiheit wollen überbringen

Und ein gefährlich Stelldichein. –

Mir ward in jenen Visionen

Beglückter Zukunft schönster Gruß:

Ich sah das Heer von Maulspionen,

Welch ein prophetischer Hochgenuß!

Wie Jäger, einen Fuchs zu prellen,

Ans Loch des Baus ihm Schlingen stellen,

Drein sich der Lose muß verfangen,

Treibt ihn aus seiner dunklen Schluft

Hinaus vorwitziges Verlangen

Nach freier frischer Waldesluft:

So schaut ich damals mit Ergetzen

An Menschenmundes offner Pforte

Spione lauern und die Worte

Auffangen mit Verratesnetzen.

Hat es die Politik, gebracht

In ihrer Kunst zu solchen Flügen,

Dann ist begründet Eure Macht,

Dann ist Regieren ein Vergnügen.[553]

MINISTER.

Nur seufzend kann ich nach dem Eden,

Das mir aufblüht in Euern Reden,

Und hoffnungslos hinüberschauen;

Unüberspringlich weite Klüfte

Gräbt mir mein Fürst, der – im Vertrauen –

Etwas gewissenhaft Verblüffte.

EIN HOFBEDIENTER mit Erfrischungen kommend.

Verzeihen, Herr Minister, hohe Gnaden,

Daß ich ein Störer, bei des Abends Schwüle,

Aufmerksam dienend, mich gedrungen fühle,

Zu einiger Erfrischung einzuladen.

MINISTER zu Mephistopheles.

Mein trefflicher Kollege, laßt

Euch von dem Obste was belieben;

Ich pfropfte selbst den braven Ast,

Der diese Pfirschen mir getrieben,

So farbig frisch und saftgeschwellt;

Nehmt von den Pflaumen, wenns gefällt,

Kühlt Euch an dieser edlen Traube,

Gepflückt von meiner Lieblingslaube.

MEPHISTOPHELES.

Viel Dank, viel Dank; ich find es eben

Im Garten hier nicht gar so heiß,

Wie dieser Bursche vorgegeben

In seinem dienerischen Fleiß.

Natur kommt mit Erfrischungsfrüchten

Etwas post festum angezogen,

Wenn schon die Sommerglut verflogen

Und 's Laub will von den Bäumen flüchten;[554]

So bringt die Weisheit ihre Kühlung

Im Nachtrab stets der Leidenschaft,

Wenns aus ist mit der heißen Fühlung,

Wenn schon von selber friert die Kraft

Und Tod sich nistet in die Glieder.

Auch ist mir überhaupt zuwider

Das Obst, an dem sich Kinder laben,

Und die noch was vom Kinde haben.

Ihr beißet da mit solcher Lust

Den Pfirsich, daß der Bart Euch saftet;

Dran seh ich, was ich längst gewußt,

Daß Ihr noch sehr am Wahne haftet.

Ihr habt noch viel zu viel vom Kinde;

Und weil ich wollt aus Eurem Herzen

Die letzte Spur vom Kinde merzen,

Darum ich mich vor Euch befinde.

MINISTER.

Ihr seid sehr wunderlich, Scholast!

Ich sah noch niemals Euresgleichen;

Betracht ich Euch genauer, fast

Will michs unheimlich überschleichen.

MEPHISTOPHELES.

Laßt das, mein Gönner; lieber seht

Den Burschen hier Euch schärfer an,

Im Knechteskittel angetan,

Wie dem die Sklavenmiene steht!

MINISTER zum Bedienten.

Entferne dich. –


Zu Mephistopheles.


Ihr habet recht,

Geboren scheint er mir zum Knecht.

Mein Freund, es ist wahrhaftig köstlich[555]

Und sehr für unsre Hoffnung tröstlich,

Daß so die Menschen ein Behagen

Am Sklaventum im Herzen tragen;

Es ist durchaus nicht zu verkennen,

Sie lernen leichter Sklavensitten,

Als daß sie Freiheit an sich litten,

Für die sie doch so leicht entbrennen.

MEPHISTOPHELES.

Und also, meint Ihr, müsset freilich

Ihr guten Herren euch bequemen,

Des Herrschens Last auf euch zu nehmen,

Damit die andern recht gedeihlich

Und ungestört dem süßen Triebe

Der Sklaverei sich widmen können;

Den andern ihre Lust zu gönnen,

Seid ihr das Opfer eurer Liebe.

Vergeßt Ihr meine Worte nicht,

Könnt Ihr ein großer Staatsmann werden.

Gebt Eurem Herrn auch Trost und Licht

Zu seinen fürstlichen Beschwerden.

Nun aber kann ich nicht mehr weilen,

Ich muß zu meinem Doktor eilen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 548-556.
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