Kaiser Friedrich der Zweite

[155] In den Armen seines Jüngsten

Phantasiert der sieche Kaiser,

An dem treuen Herzen Manfreds

Kämpft er seinen Todeskampf.


Mit den geisterhaften blauen

Augen starrt er in die Weite,

Während seine fieberheiße

Rechte preßt des Sohnes Hand:


»Manfred, lausche meinen Worten!

Drüben auf dem Marmortische

Mit den Greifen liegt mein gültig

Unterschrieben Testament.


Eine Kutte, drin zu sterben,

Schenkten mir die braven Mönche,

Daß ich meine Seele rette

Trotz dem Bann des heil'gen Stuhls.


Manfred, meines Herzens Liebling,

Laß den Herold auf den Söller

Treten und der Erde melden,

Daß der Hohenstaufe schied.


Manfred mit den blonden Locken,

Sarge prächtig ein die Kutte,

Führe sie mit Schaugepränge

Nach dem Dome von Palerm!


Weißt du, Liebling, das Geheimnis?

Diese Nacht in einer Sänfte

Tragen meine Sarazenen

Sacht mich an den Strand des Meers.
[155]

Meiner harrt ein schwellend Segel:

Auf des Schiffes Deck gelagert,

Fahr entgegen ich dem Morgen

Und dem neugebornen Strahl.


Fern auf einem Vorgebirge,

Das in blaue Flut hinausragt,

Steht ein halb zertrümmert Kloster

Und ein schlanker Tempelbau.


Zwischen Kloster und Rotunde

Schlagen wir das Zelt im Freien.

Selig atm ich Meer und Himmel,

Bis mich Schlummer übermannt.«


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 155-156.
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