3.

[680] Doch vor dem Apostel Thomas, der

kam, da es zu spät war, trat der schnelle

längst darauf gefaßte Engel her

und befahl an der Begräbnisstelle:


Dräng den Stein beiseite. Willst du wissen,

wo die ist, die dir das Herz bewegt:

Sieh: sie ward wie ein Lavendelkissen

eine Weile da hineingelegt,


daß die Erde künftig nach ihr rieche

in den Falten wie ein feines Tuch.

Alles Tote (fühlst du), alles Sieche

ist betäubt von ihrem Wohl-Geruch.


Schau den Leinwand: wo ist eine Bleiche,

wo er blendend wird und geht nicht ein?

Dieses Licht aus dieser reinen Leiche

war ihm klärender als Sonnenschein.


Staunst du nicht, wie sanft sie ihm entging?

Fast als wär sie's noch, nichts ist verschoben.

Doch die Himmel sind erschüttert oben:

Mann, knie hin und sieh mir nach und sing.

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 680-681.
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