17.

[762] Wo, in welchen immer selig bewässerten Garten, an welchen

Bäumen, aus welchen zärtlich entblätterten Blüten-Kelchen

reifen die fremdartigen Früchte der Tröstung? Diese

köstlichen, deren du eine vielleicht in der zertretenen Wiese


deiner Armut findest. Von einem zum anderen Male

wunderst du dich über die Größe der Frucht,

über ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale,

und daß sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht


unten des Wurms. Giebt es denn Bäume, von Engeln beflogen,

und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen,

daß sie uns tragen, ohne uns zu gehören?


Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen,

durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen

jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?

Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 762.
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