Die Sehnsucht.

O Röschen Röschen welch ein Glück

Von Dir geliebt zu seyn!

Wem flößt ein himmlisch Meisterstück

Nicht tausend Wünsche ein?


Wenn sanft der schwarze Atlas wallt,

Dein blaues Auge lacht,

Wer bleibt bey solchem Anblick kalt,

Und fühlt nicht Amors Macht?


Ein Kuß auf Röschens Marmorarm,

Ihr Handdruck, noch so schwach,

Macht selbst den Winter sommerwarm

Und alle Geister wach.


Wie Schnee zerschmilzt, wenn ihn der Strahl

Der Frühlingssonn' erreicht,

Wie froh das Herz beym Freundschaftsmaal

Ins ofne Antlitz steigt:


So sanft freut sich, so schmilzt das Herz

Wenn es den Himmel sieht,

Der da ist, wo der feinste Scherz

Auf Rosenwangen glüht.


Heil dem, den Röschens Seele liebt,

Dem sie, entzückt geküßt,

Den Kuß freywillig wiedergiebt,

Der, auch geraubt, schön ist.
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Quelle:
[Johann Georg Scheffner]: Gedichte im Geschmack des Grecourt, Frankfurt; Leipzig 1771, S. 97-100.
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