An Serafina

[428] Wie ein Engel stieg der Tag, der dich gebar,

Vom Olympos, Urlicht im Antlitz,

Und die blauen Flügel thauend

Von goldnen Tropfen.


Da griff ich nach dem Saitenspiel,

Das mir einst Braga gab,

Und zitterte mit der Hand der Begeistrung

Sein Goldgeweb' hinab.


Serafina! Serafina! so scholl's vom Himmel,

Serafina! hallt's mein Saitenspiel nach,

Und Thränen der Wonne rieselten

Sein Goldgeweb' hinab.


Schönheit stand in ihrem Silberflor

Mit der Tugend einst an deiner Wiege,

Gaben deinem Leibe jeden Liebreiz,

Deiner Seele Adlerschwung.


Schönheit taucht' in das Morgenroth

Ihren Lilienfinger, deine Wangen

Tuschte sie mit jener Röthe,

Die des Himmels Rosen überstrahlt.


Feuer, wie der Sirius herunterflimmt,

Strömt sie dir ins hohe Auge,

Rüstet es mit jedem Wetterleuchten,

Das die Liebe zeugt.


Schlank, wie eine Ficht' am Bache

Gepflegt von Gottes Hand,

Am Stamm umtanzt von Silberwellen,

Am Wipfel vom Himmelslicht gesonnt,[428]


Wuchs'st du empor, dir floß das Haar

Wie Evens Haar, als sie sich sanftbelächelnd

Am Pison stand, und mit den Rosenfingern

Die goldnen Locken kämmte.


Dann kos'te dich die Harmonie

Und stimmte jede Saite deines Herzens

Zum feinsten Wohllaut. Zaubereien

Wirbelst du im Flügelspiel.


Und ach! ich starr' an deinem hohen Flügel,

Wie am Krystallenmeer; schlürfe

Mit heißem Flammendurste

Die silbernen Noten in mich.


Aber mehr, o Serafina! mehr, als dies,

Mehr noch, als Schönheit, die verblüht,

Als deines Flügels Rasereien,

Als deiner Stimme Sphärenklang,


Mehr noch ist deine Engelseele!

Die im Geniusfluge

Zur Sonne fleucht, und Urlicht trinkt,

Und Gottes Größe fühlt.


Und ach! dein Herz, vom Drange

Der Menschheit voll; so himmlisch schön,

Wenn dir's herauf ins Antlitz steigt,

Und schwimmt im thränenhellen Blick.


Wenn dich der Hauch der kleinen Lüste trübt,

Wenn du die Unschuld deiner Seele

Von ferne nur entweihst;

Dann zittern dir die Perlen vom Gesicht.


Dein Herz ist abgeleitet von dem Strom,

Der hochherab vom Throne Gottes fleußt;

Drum schauerst du und blutest Büßerthränen,

Wenn Schlamm sich wölkt im Spiegelbach.[429]


O Serafina, Gott bewahre dir dein Herz!

Mehr sag' ich nicht, denn ach! zu viel,

Zu viel hab' ich aus deiner Schönheit Schale

Der Honigtropfen eingeschlürft.


Ich taumle noch im Rausche deiner Reize,

Bis, ach! ein Thränenstrom,

In meinem Kerkergrab geweint,

Mich wieder nüchtern macht.


O Serafina, ewig lieb' ich dich!

An deinem Feste schwör' ich's dir!

Am Throne Gottes schwör' ich's dir!

O Serafina, ewig lieb' ich dich!


Ist's Sünde, gute Seele! daß ich dich

Mit diesem Flammenungestüm

Ergriff und liebe, ist's mir Sünde?

O Serafina, so verzeihe du!


Müd herabgeneigt an deine Sohle,

Die auf der Erde ruht, mit großen

Heißen Tropfen im Feuerantlitz bitt' ich dich:

O Serafina, ach! verzeihe du!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 428-430.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der

Buchempfehlung

Suttner, Bertha von

Memoiren

Memoiren

»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.

530 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon