Zehnter Auftritt.

[279] Julie, von ihrem Vater geführt, und die Vorigen.


WOHLAU. Julie – mein einziges Kind – mein einziger noch übriger Trost – o ermanne dich – fasse dich – der Allmächtige lebt noch – dein Vater lebt noch.

JULIE. Ach – bald ist alles gut. Sieht Dalton, ihre Tante und ihrem Vater wechselsweise erschrocken an. Wer sind Sie denn? – warum diese Schrecken – wo führen Sie mich hin? soll ich sterben?

DALTON. Nein, leben sollen Sie, Julie – zu unserm Trost – sollen Sie leben – o theurestes, theurestes Kind!

JULIE. Dalton – mit mir ist etwas großes vorgegangen. Hast du den Bräutigam nicht gesehen, ein munterer Jüngling mit braunen lockigten Haaren, und seine Wangen blühen? Wird Blut an ihrer Hand gewahr. Ha – hier ist Blut – Blut – Blut – ist um mich her – Ha wer hilft mir aus diesem Blute? helft – helft!


Wird ohnmächtig, und Dalton setzt sie auf einen Stuhl.
[280]

WOHLAU. Ist das aufzuhalten? – Mein Kind – meine Julie – Sieh deinen Vater – deinen Vater – deine zitternde Knie will ich umfassen.


Fällt vor ihr nieder.


DALTON. Hören Sie Ihren Vater – ihre Dalton nicht? – Julie! allerliebstes Kind.

JULIE. Ach Barmherzigkeit – ist er tod! ist kein Hauch mehr in ihm? Laß mich fühlen, laß mich fühlen, ob sein Herz nicht mehr schlägt. Ha – ist kein Tod mehr übrig Mörder? ist kein Tod mehr übrig?

WOHLAU. Julie, ich beschwöre dich, du wirst deinen Vater umbringen.

JULIE. Wollen Sie auch sterben? – mein Vater, soll ich Sie auch in Ihrem Blute sehn? – Der Fluch des Lebens ruhet allein auf mir! – ich allein soll übrig bleiben? – auf den Gräbern meiner Freunde? – Hält etwas inne. Steiget herauf – Entschlafene, Geliebte – – Theurer – Ermordeter – steige herauf – Mein Vater – wo bist du? Julie – Julie ruft – Hier liegt Sie am Grabe und flehet zu sterben –[281] o öffnet, öffnet das stille Gewölbe – Hält etwas inne und steht heftig auf. Ha dort steigt er empor – dort schwebt er hinauf – o wie glänzt er! – ha mein Bräutigam! – nimm deine Julie mit – nimm Sie mit dahinauf, dahinauf –


Fällt ohnmächtig zurück.


DALTON wirft sich neben ihr auf die Knie und nimmt ihre Hand die sie weinend küßt.

FRAU VON WICHMANN kommt auch herbey. Ach Bruder! Ihr Verstand, Ihr schöner Verstand ist hin.

WOHLAU. Ach! – sterben – sterben wird Sie – Hebt die Hände gen Himmel und weint. Gnade, Gnade – warum soll ich den Trost meines Alters, meine Freude – mein Kind überleben?[282]

Quelle:
Peter Helfrich Sturz: Schriften. Band 1, Leipzig 1779–1782, S. 279-283.
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