1. Rudello

[162] In den Talen der Provence

Ist der Minnesang entsprossen,

Kind des Frühlings und der Minne,

Holder, inniger Genossen.

Blütenglanz und süße Stimme

Konnt an ihm den Vater zeigen,

Herzensglut und tiefes Schmachten

War ihm von der Mutter eigen.

Selige Provencer Tale,

Üppig blühend wart ihr immer,

Aber eure reichste Blüte

War des Minneliedes Schimmer.

Jene tapfern, schmucken Ritter,

Welch ein edler Sängerorden!

Jene hochbeglückten Damen,

Wie sie schön gefeiert worden!

Vielgeehrt im Sängerchore

War Rudellos werter Name,

Vielgepriesen, vielbeneidet[162]

Die von ihm besungne Dame.

Aber niemand mocht erkunden,

Wie sie hieße, wo sie lebte,

Die so herrlich, überirdisch

In Rudellos Liedern schwebte;

Denn nur in geheimen Nächten

Nahte sie dem Sänger leise,

Selbst den Boden nie berührend,

Spurlos, schwank, in Traumesweise.

Wollt er sie mit Armen fassen,

Schwand sie in die Wolken wieder,

Und aus Seufzern und aus Tränen

Wurden dann ihm süße Lieder.

Schiffer, Pilger, Kreuzesritter

Brachten dazumal die Märe,

Daß von Tripolis die Gräfin

Aller Frauen Krone wäre;

Und so oft Rudell es hörte,

Fühlt' er sich's im Busen schlagen,

Und es trieb ihn nach dem Strande,

Wo die Schiffe fertig lagen.

Meer, unsichres, vielbewegtes,

Ohne Grund und ohne Schranken!

Wohl auf deiner regen Wüste

Mag die irre Sehnsucht schwanken.

Fern von Tripolis verschlagen,

Irrt die Barke mit dem Sänger;

Äußrem Sturm und innrem Drängen

Widersteht Rudell nicht länger.

Schwer erkranket liegt er nieder,

Aber ostwärts schaut er immer,

Bis sich hebt am letzten Rand

Ein Palast im Morgenschimmer.

Und der Himmel hat Erbarmen

Mit des kranken Sängers Flehen,

In den Port von Tripolis

Fliegt das Schiff mit günst'gem Wehen.

Kaum vernimmt die schöne Gräfin,

Daß so edler Gast gekommen,

Der allein um ihretwillen

Übers weite Meer geschwommen:[163]

Alsobald mit ihren Frauen

Steigt sie nieder unerbeten,

Als Rudello, schwanken Ganges,

Eben das Gestad betreten.

Schon will sie die Hand ihm reichen,

Doch ihm dünkt, der Boden schwinde;

In des Führers Arme sinkt er,

Haucht sein Leben in die Winde.

Ihren Sänger ehrt die Herrin

Durch ein prächtiges Begängnis,

Und ein Grabmal von Porphyr

Lehrt sein trauriges Verhängnis.

Seine Lieder läßt sie schreiben

Allesamt mit goldnen Lettern,

Köstlich ausgezierte Decken

Gibt sie diesen teuren Blättern;

Liest darin so manche Stunde,

Ach! und oft mit heißen Tränen,

Bis auch sie ergriffen ist

Von dem unnennbaren Sehnen.

Von des Hofes lust'gem Glanz,

Aus der Freunde Kreis geschieden,

Suchet sie in Klostermauern

Ihrer armen Seele Frieden.


Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 162-164.
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