2. Der Romantiker und der Rezensent

[106] Mondbeglänzte Zaubernacht,

Die den Sinn gefangenhält,

Wundervolle Märchenwelt,

Steig auf in der alten Pracht!

Tieck


Romantiker:


Finster ist die Nacht und bange,

Nirgends eines Sternleins Funkel!

Dennoch in verliebtem Drange

Wandl ich durch das grause Dunkel

Mit Gesang und Lautenklange.

Wenn Kamilla nun erwacht

Und das Lämpchen freundlich facht,

Dann erblick ich, der Entzückte,

Plötzlich eine sterngeschmückte,

Mondbeglänzte Zaubernacht.


[106] Rezensent:


Laß Er doch sein nächtlich Johlen,

Poetaster Helikanus!

Was Er singt, ist nur gestohlen

Aus dem Kaiser Oktavianus,

Der bei mir nicht sehr empfohlen,

Den ich der gelehrten Welt

Von den Alpen bis zum Belt

Preisgab als ein Werk der Rotte,

Die den Unsinn hub zum Gotte,

Die den Sinn gefangen hält.


Romantiker:


Welche Stimme, rauh und heischer!

Ist das wohl der Baur Hornvilla?

Ist es Klemens wohl, der Fleischer?

Von den Fenstern der Kamilla

Heb dich weg, du alter Kreischer!

Was die krit'sche Feder hält

Von den Alpen bis zum Belt,

Wüt es doch zu Haus und schäume,

Nur verschon es ihrer Träume

Wundervolle Märchenwelt!


Rezensent:


Bänkelsänger, Hackbrettschläger,

Volk, das nachts die Stadt durchleiert,

Nennt sich jetzt der Musen Pfleger;

Nächstens, wenn Apoll noch feiert,

Dichten selbst die Schornsteinfeger.

Zeit, wo man mit Wohlbedacht

Nur latein'schen Vers gemacht,

Zeit gepuderter Perücken,

Drauf Pfalzgrafen Lorbeern drücken,

Steig auf in der alten Pracht!
[107]

Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 106-108.
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