Das bedrängte Deutschland

[39] Wie lang zerfleischt mit schwerer Hand

Germanien sein Eingeweide?

Besiegt ein unbesiegtes Land

Sich selbst und seinen Ruhm, zu schlauer Feinde Freude?
[39]

Sind, wo die Donau, wo der Mayn

Voll fauler Leichen langsam fließet;

Wo um den rebenreichen Rhein

Sonst Bacchus fröhlich gieng, und sich die Elb' ergießet:


Sind nicht die Spuren unsrer Wuth

Auf ieder Flur, an iedem Strande?

Wo strömte nicht das deutsche Blut?

Und nicht zu Deutschlands Ruhm: Nein! meistens ihm zur Schande!


Wem ist nicht Deutschland unterthan!

Es wimmelt stets von zwanzig Heeren:

Verwüstung zeichnet ihre Bahn;

Und was die Armuth spart, hilft Uebermuth verzehren.
[40]

Vor ihnen her entflieht die Lust;

Und in den Büschen öder Auen,

Wo vormals an geliebter Brust

Der satte Landmann sang, herrscht Einsamkeit und Grauen.


Der Adler sieht entschlafen zu,

Und bleibt bey ganzer Länder Schreyen

Stets unerzürnt in träger Ruh,

Entwaffnet und gezähmt von falschen Schmeicheleyen.


O Schande! sind wir euch verwandt,

Ihr Deutschen jener bessern Zeiten,

Die feiger Knechtschaft eisern Band

Mehr, als den härtsten Tod im Arm der Freyheit scheuten?


Wir, die uns kranker Wollust weihn,

Geschwächt vom Gifte weicher Sitten;

Wir wollen deren Enkel seyn,

Die, rauh, doch furchtbarfrey, für ihre Wälder stritten?
[41]

Die Wälder, wo ihr Ruhm noch izt

Um die bemoosten Eichen schwebet,

Wo, als ihr Stahl vereint geblitzt,

Ihr ehrner Arm gesiegt und Latium gebebet?


Wir schlafen, da die Zwietracht wacht,

Und ihre bleiche Fackel schwinget,

Und, seit sie uns den Krieg gebracht,

Ihm stets zur Seite schleicht, von Furien umringet.


Ihr Natternheer zischt uns ums Ohr,

Die deutschen Herzen zu vergiften;

Und wird, kommt ihr kein Hermann vor,

An Hermanns Vaterland ein schmählig Denkmaal stiften.
[42]

Doch mein Gesang wagt allzuviel!

O Muse! fleuch zu diesen Zeiten

Alkäens kriegrisch Saitenspiel,

Das die Tyrannen schalt, und scherz auf sanftern Saiten.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 39-43.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sämtliche poetische Werke
Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer

Buchempfehlung

Aristophanes

Lysistrate. (Lysistrata)

Lysistrate. (Lysistrata)

Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon