An die Freyheit

[153] Du, die den nackten Wilden

In Wäldern glücklich macht,

Und unter königlicher Pracht

Noch in Britanniens Gefilden

Vom güldnen Thron gebeut,

Im Schooße stolzer Sicherheit:
[153]

Du Mutter wahrer Freuden,

Nicht bloß im Ueberfluß,

O Freyheit, unter deren Fuß

Auch Felsen und verbrannte Heiden

Von ungewohntem Grün

Und tausend Bluhmen duftend blühn!
[154]

Erstaunte Völker melden

Die Wunder deiner Hand:

Du schmückest ein geliebtes Land

Mit Patrioten, Weisen, Helden:

Derselben Arm und Rath

Sind ehrne Mauern um den Staat.


Beseelt von deinem Feuer,

Denkt jeder Bürger groß.

Die Muse flieht in deinen Schooß,

Und ihre hochgestimmte Leyer

Tönt göttlichen Gesang,

Wie sonst am Tieberstrom erklang.


Doch träg, in dunkler Höhle,

Liegt feige Sklaverey:

Sie lähmt im Joch der Tyranney

Die kühnen Schwingen unsrer Seele:

Sie wischt erhabne Lust

Zum wahren Ruhm aus unsrer Brust.


Sie hat des Menschen Leben

Und was ihm heilig heißt,

Und seinen freygebohrnen Geist

Der frechen Willkühr preis gegeben,

Die unser Blut vergießt,

Wie Wasser, das am Wege fließt.
[155]

Gieb, Göttinn, deinen Freunden,

Den Alemannen Muth!

Wie? Eigennutz und blinde Wuth

Verrathen uns verschmitzten Feinden?

Spricht uns ein Fremder schon

In unsern festen Städten Hohn?


Ist Leiden, nicht, sich Rächen,

Nun freyer Deutschen Pflicht?

Wie wird von unsrer Schande nicht

Die Nachwelt einst erröthend sprechen

Und zürnen, wann sie hört,

Daß Deutschland seine Feinde nährt:


Wo seine Fürsten wohnten,

Nun einsam Elend ist,

Und räuberische Flamme frißt,

Was Geiz und Plünderung verschonten,

Bis Deutschland keine Stadt,

Nur seiner Städte Leichen hat!


So tief sind wir gesunken!

Wer diese Frevel sieht,

Und nicht von edlem Unmuth glüht,[156]

Hat der an deutscher Brust getrunken?

Mit nahem Joch bedroht,

Scheut ein Germanier den Tod?

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 153-157.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer

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