Der Abschied

[218] Meine alte, gute Mutter,

Die nähte die halbe Nacht;

Sie hat mir aus feinem Linnen

Ein feines Hemd gemacht.


Meine wunderschöne Schwester,

Die hat einen freien Sinn;

Die stickte mit stolzer Seide

Meinen stolzen Namen darin.


Und morgens, um halber viere,

Da hat der Hahn gekräht;

Nun schnüre seinen Ranzen,

Wer auf die Reise geht!


Und morgens, um halber fünfe,

Da hab ich meinen Vater geweckt;

Der hat drei rostige Kronen

In meinen Sack gesteckt.


Wir standen unter der Linde,

Da ward mein Herz so schwer;

Meine treue Mutter meinte,

Sie sähe mich nimmermehr.


Mein Vater ward so stille,

Meine Schwester schluchzte darauf –

Da ging in den Weizenfeldern

Die goldene Sonne auf.
[218]

Und vor den Toren klang es:

»Ade, du dumpfige Stadt!

Nun freue sich, wer ein freies,

Ein lustiges Leben hat!«


Quelle:
Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Band 1, Berlin 1956/57, S. 218-219.
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