Gestüte

[750] Gestüte (Stutereien), Zuchtstätten für Pferde. Man unterscheidet wilde, halbwilde und zahme G. Erstere, in denen Hengste und Stuten gemeinschaftlich weiden und mithin jede Zuchtwahl ausgeschlossen ist, sind in Europa kaum noch vorhanden. Bei den halbwilden Gestüten werden die Stuten und Fohlen im Freien gehalten, bez. in besondere Gehege getrieben. Derartige G. härten zwar die Pferde außerordentlich ab, doch leiden die Tiere unter Hitze und Kälte oft bedeutend, bleiben wild, scheu und widersetzlich und sind schwer zu zähmen. Die rationellste Pferdezucht (nach besonderer Zuchtwahl von Hengst und Stute) findet in den zahmen Gestüten statt. Die Pferde kommen (nach Altersklassen getrennt) nur bei günstigem Wetter, bez. wärmerer Jahreszeit auf die Weide, werden abends in Laufstallungen getrieben und erhalten Futterzulagen von Körnerfutter. Sämtliche europäischen Pferdezuchten, die nach rationellem Prinzip auf Erzielung einer konstanten Rasse geleitet werden, haben die Aufzucht in zahmen Gestüten, obwohl die Fruchtbarkeit der Stuten geringer, der Nachwuchs nicht so abgehärtet ist; dafür sind die Tiere zutraulicher und leichter einzubrechen. Staatsgestüte dienen zur Erzeugung konstanter Rassen, zur Veredelung der Landespferdezucht (in Preußen: Trakehnen, Graditz und Beberbeck, Zuchtgestüt Friedrich Wilhelm bei Neustadt a. d. Dosse und Zuchtgestüt Zwion-Georgenburg mit zusammen (1903) 33 Hauptbeschälern, 740 Mutterstuten, 1925 jungen Hengsten und Stuten; in Bayern: Achselschwang und Zweibrücken; in Württemberg: Marbach; in Lippe-Detmold: das Sennergestüt; in Österreich. Radautz und Piber; in Ungarn. Kisbér, Babolna, Mezö-Hegyes und Fogaras). Hofgestüte sollen den Bedarf fürstlicher Häuser decken (Bayern mit Bergstetten, Württemberg: Weil, Braunschweig: Harzburg, Sachsen-Weimar. Allstedt, Österreich: Lippiza auf dem Karstgebirge in Krain und Kladrub in Böhmen). Militärgestüte existieren nur noch in Rußland, obwohl die österreichisch-ungarischen G. militärisch orqanisiert und in bezug auf Inspizierung und Überwachung dem Reichskriegsministerium, in bezug auf die Zuchtrichtung jedoch dem Ackerbauministerium unterstellt sind. Landgestüte werden in Deutschland die Hengstdepots genannt, welche die Landbeschäler beherbergen. Preußen hat deren 18 mit 3073 Hengsten (1903): Rastenburg, Braunsberg, Insterburg, Gudwallen in Ostpreußen, Marienwerder und Preußisch-Stargard in Westpreußen, Neustadt an der Dosse in Brandenburg, Labes in Pommern, Zirke und Gnesen in Posen, Leubus und Kosel in Schlesien, Kreuz in Sachsen, Travendal in Schleswig-Holstein, Celle in Hannover, Warendorf in Westfalen, Wickrath in der Rheinprovinz, Dillenburg in Hessen-Nassau.

Fig. 1–8. Deutsche Gestütsbrandzeichen.
Fig. 1–8. Deutsche Gestütsbrandzeichen.
Fig. 9–12. Österreichische Gestütsbrandzeichen.
Fig. 9–12. Österreichische Gestütsbrandzeichen.
Fig. 13–16. Ungarische Gestütsbrandzeichen.
Fig. 13–16. Ungarische Gestütsbrandzeichen.
a-i Österreich-ungarische Nassenbrandzeichen.
a-i Österreich-ungarische Nassenbrandzeichen.

In bezug auf die Zuchtrichtung unterscheidet man Vollblut-, arabische, edle Halbblut-, Kaltblut- und Traber-, reine und gemischte G. Als Erkennungszeichen der Abstammung werden die Pferde der G. und die Stuten größerer Zuchtvereinigungen, die in die Stutbücher (stud-books, s. Herdbuch) eingetragen sind, mit Bränden versehen, die meist (aber nicht immer) auf der rechten oder linken Hinterbacke der[750] Tiere angebracht werden. Die hervorragendsten G. und Zuchtvereinigungen führen die abgebildeten Brandzeichen, nämlich: A. in Preußen: 1) Trakehnen (die Elchschaufel auf der rechten Hinterbacke). 2) Ostpreußen, a) die runde Krone für Füllen, die von Beschälern der ostpreußischen Landgestüte gefallen sind, b) das doppelte Elchgeweih für Stuten, die im Gestütbuch aufgenommen sind, auf der linken Hinterbacke. 3) Graditz. 4) Beberbeck. 5) Westpreußen (Stutbuchgesellschaft). 6) Holstein. 7) Oldenburg, a) am Halse für in das staatliche Stammregister aufgenommene Pferde, b) an der linken Hinterbacke für Prämienhengste und Stuten. 8) Hannover (Giebelschmuck der hannöverschen Bauernhäuser). B. in Österreich: 9) Radautz, 10) Piber, 11) Lippiza mit dem Brand auf der linken Ganasche, 12) Kladrub. C. Ungarn: 13) Kisbér, 14) Babolna, 15) Mezö-Hegyes, 16) Fogaras. Außerdem besitzen sämtliche österreichisch-ungarische Staats- und Hofgestüte besondere Rassebrandzeichen, von denen die hauptsächlichsten die der Stämme von Mezö-Hegyes: a) Nonius, b) Gidran, c) Furioso, d) North-Star und von Lippiza, e) Conversano, f) Favory, g) Maestoso, h) Napolitano, i) Pluto sind. Vgl. Stöckel, Die königlich preußische Gestütverwaltung (Berl. 1890); Pusch, Das Gestütswesen Deutschlands (das. 1891); Gaßebner, Die Pferdezucht in der östeereichisch-ungarischen Monarchie (Wien 1894–96, 3 Bde.; Supplement 1897); Bräuer, Die G. des In- und Auslandes (Dresd. 1901). Weiteres s. Pferde.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 750-751.
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