[137] 574
Unbestimmbar, unerkennbar
Sterblichen ist hier das Leben,
Kümmerlich und karg erlesen,
Und in Leiden eingewunden.
575
Keines kennt man doch der Mittel,
Daß Gebornes nicht verderbe,
Und dem Altern folgt das Sterben:
Also ist es Art der Wesen.
576
Früchten ähnlich, reif gewordnen,
Fallen und im Falle fürchten
Sich die sterblichen Gebornen
Immer vor dem Todessturze.
577
Wie des Hafners Töpferware,
Vielgeformte Tongefäße
Alle doch zerbrechen endlich,
Unser Dasein ist nicht anders.
Junge starke, Alte schwache,
Toren, Weise, wer es sei auch,
Alle wandeln Todesbahnen,
Todesuntertanen alle.
[138] 579
Da vom Tode sie umfangen
Weiter wandern durch die Welten,
Hilft kein Vater hier dem Sohne,
Und kein Vetter dem Gevatter.
580
Hinterbliebne, Kinder, Eltern,
Sieh' nur wie ein jedes wehklagt,
Eines nach dem andern hinstirbt,
Weggeschleppt wie ein Stück Schlachtvieh.
581
Also treffen Tod und Alter,
Reiben, reißen auf das Leben:
Doch der Kenner trauert nimmer,
Er, der Lebensläufe kundig.
582
Dessen Fährte du nicht findest,
Der gekommen ist, gegangen,
Unerspäht an beiden Enden,
Klag' um ihn erklänge eitel.
583
Wer aus Weh- und Jammerklagen
Etwa sich ein Ziel erzöge:
Aber wirr im eignen Busen
Wühlt' er wissend auf die Wunde.
584
Denn kein Weinen, kein Bekümmern
Frieden kann dem Geiste bringen,
Reicher nur erwächst ihm Leiden,
Und der Leib ist aufgerieben.
585
Abgezehrt und fahl und finster
Selber dir zur Qual dich quälend
Und Verstorbnen keine Stütze
Klagtest weh du ganz vergeblich.
[139] 586
Wer nicht lassen mag sein Grämen,
Tiefer sinkt er ein in Leiden,
Schluchzend nach dem Hingeschiednen
Gibt er nach dem Grame willig.
587
Andre sieh' nun, ihr Verscheiden,
Wie sie nach den Taten wandeln:
In des Todes Macht geraten
Wankt ein jedes hier der Wesen.
Denn je mehr sie mehr vermeinen,
Immer wandelbarer wird es,
Und ist alsobald entschwunden:
Sieh', das heißt man Weltenwandel.
Mag das Leben hundert Jahre,
Länger noch dem Menschen dauern:
Von Geliebten muß er lassen,
Enden seine Lebenstage.
Darum prüfe Meisterkunde,
Überwinde Jammerklagen,
Sieh' den Toten, hingegangen,
Merke: »Mir gehört er nimmer.«
591
Lodert hell empor die Hütte,
Wasser mag die Flamme löschen:
Und so kann der Kühne, Weise,
Klug und witzig Aufgeklärte
Bald entbrannten Kummer kühlen,
Wie der Wind ein Fläumchen fortwehn.
[140] 592
Nachzuklagen, nachzuseufzen,
Traurig ist es, eigne Trübnis;
Eignem Wohle wer sich einigt
Rodet aus den Dorn, den eignen.
593
Ist der Dorn entrafft, entrodet,
Im Gemüte Ruh' erfunden:
Allem Grame dann entgangen
Gramlos worden bist erloschen.
Buchempfehlung
Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.
64 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro